Definiere "anspruchsvoll" und definiere es nicht über "hat einen Preis bekommen" oder "wurde in der Kritik hochgelobt".
Anspruchsvoll ist alles, was den gegenwärtigen Horizont herausfordert. Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und jedem Menschen sollte sein/ihr eigenes Tempo zugestanden werden. Ich habe manches Menschenkind zum Lesen bekommen, indem ich Bücher (zB Philip Pullman) verliehen habe. Preise haben die keine abgeräumt, aber die Jugendlichen kamen nachher und haben die Inhalte diskutiert.
Oh, eine Textaufgabe ("Definiere 'anspruchsvoll' ...") – und gleich mit der korrekten Lösung ("Anspruchsvoll ist alles, was ...").
Nette Definition. Sicher eine, über die man diskutieren kann. Bestimmt nicht die einzig mögliche. Und sie hat den kleinen Nachteil, dass sie überhaupt nicht hilfreich ist, Literatur zu beurteilen und einzuschätzen, da abhängig vom "Horizont" eines Lesers das selbe Buch sowohl anspruchsvoll sein kann (wenn es ihn herausfordert) als auch anspruchslos (wenn es das nicht tut). Das hat einen Hauch hegelianischer Dialektik. Eines Klassenkämpfers durchaus würdig. Einem Kritiker würden sich wahrscheinlich die Haare sträuben, weil dann sowohl ein Lob als auch der Verriss eines Werkes unangemessen wären.
Ich denke mal, ganz traditionell und vermutlich bildungsbürgerlich, dass mit "anspruchsvoll" – Annanymous' Definition zum Trotz – meist eine vom Leser unabhängige, in unterschiedlichem Grade vorhandene Eigenschaft eines Werkes gemeint ist. Und dass es keine scharfe Grenze zwischen "anspruchsvoller" Hoch- und "anspruchsloser" Trivialliteratur gibt. Aber innerhalb jeder dieser beiden ineinanderfließenden Kategorien möglicherweise gewisse Familienähnlichkeiten in unterschiedlichen Ausprägungen, die es meist erlauben, ein Werk eher der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen.
Welche Eigenschaften könnten eine Rolle spielen? In einem Spiegel-Interview kritisiert der von Annanymous erwähnte Philip Pullman (der schon mehrere Preise abräumte!) bspw. Tolkiens "Herrn der Ringe" als von "erschütternder Trivialität". Er begründet das mit der "sehr simpel gestrickten" Geschichte, in der es nur die "Guten und die Bösen" gibt. Und der von Annanymous so heftig geschmähte Marcel Reich-Ranicki meint in einem Gespräch mit Peter von Matt, dass mit Trivialliteratur nichts anderes gemeint sei, als "sowohl ästhetisch als auch intellektuell wertlose Literatur mit klischeehaften Motiven, schematischen Gestalten und einer geschmacklosen Sprache, die sich meist stereotyper und zugleich prätentiöser Bilder bedient". (Finde ich jetzt auch nicht völlig eindeutig und unproblematisch)
Ich wills mal in erster Annäherung so formulieren: Trivialliteratur versucht Lesererwartungen zu bedienen, weshalb überkommene Weltbilder und Moralvorstellungen wenig hinterfragt werden, die Charaktereigenschaften handelnder Personen meist auf gut und böse reduziert werden, so dass innere Kämpfe und Zweifel, sowie eine Persönlichkeitsentwicklung ausbleiben. Es gibt keine formalen Neuerungen oder Sprachexperimente, der Leser soll befriedigt und nicht beunruhigt werden. Im Gegensatz dazu hinterfragt Hochliteratur, zeichnet Charaktere komplexer Persönlichkeit, spielt mit Sprache und Form, beunruhigt und drängt den Leser zu einer inneren Stellungnahme.
Sicherlich lassen sich viele weitere Kriterien finden. Und sicherlich wird es kein Werk geben, das alle Kriterien der einen oder der anderen Kategorie erfüllt. Und sicherlich existiert auch eine sehr weite Grauzone zwischen beiden Kategorien. Und möglicherweise existiert genau genommen nur die Grauzone und keine Kategorie. Aber wir können die Qualität von Literatur beurteilen. Genau wie die Qualität von Werken der bildenden Kunst, der Architektur oder die Qualität von Lebensmitteln.
Es gibt einfach bessere und schlechtere Literatur. Und ich finde, eine öffentliche Bücherei sollte schon auf die Qualität ihrer Anschaffungen achten und einen gewissen Bildungsauftrag nicht ganz aus den Augen verlieren. Das heißt natürlich nicht, dass kein Stephen King (), Philipp Pullman oder Tolkien mehr bereitgestellt werden sollte. Nur, dass auch die bedeutendsten Werke der sog. Hochliteratur genauso ihren Platz haben müssen.
PS: Und Annanymous schätze ich selber als Bildungsbürger ein und wenn er sich noch so anbiedert.
PPS: In meiner Onleihe werden 15 Bücher von Tolkien vorgehalten. Alle verfügbar – keins vorgemerkt oder so. Daraus schließe ich auf mangelnde Nachfrage. Hoffentlich fliegen die jetzt nicht raus um das Angebot überschaubar zu halten. (Obwohl ich Tolkien stinklangweilig finde, gehört er m.E. dennoch in die Onleihe – schon wg. Relevanz!)